Ein Gespräch mit dem Jesuskind

Ein Gespräch mit dem Jesuskind
(Autorin: Maria-Luise Jerabek)

Die Nacht ist still, die Sterne und der Mond glitzern am Himmel. Es ist kalt und ein Hirte sitzt bei seinen Schafen. Er versucht sich bei einem kleinen Feuer die Finger zu wärmen. Plötzlich wird der Himmel hell. Der Hirte blickt zum Himmel und sieht eine leuchtende Erscheinung, einem Feuerschein gleich. Erschrocken und unsicher, aber neugierig und mit einem Gefühl der Hoffnung, folgt er diesem Schein. Schließlich gelangt er zu einem Stall. Es stehen und knien schon einige Menschen davor. Ein Staunen und Freude zeichnen sich in ihren Gesichtszügen ab. Er hört, wie die Menschen erzählen, dass Engel verkündet haben, dass Jesus Christus, der Retter der Menschen in diesem Stall geboren worden sein soll.

Der Hirte versucht in den Stall zu gelangen, um zu sehen, wie dieser Jesus Christus wohl aussieht. Er hat so viele Fragen, die er gerne stellen möchte. Im Stall angelangt sieht er eine, über ein in Stroh gebettetes Neugeborenes gebeugte Frau, daneben steht ein Mann und betrachtet die beiden liebevoll. Das kleine Kind ist fast nackt und liegt in einer Futterkrippe. Daneben liegen die Tiere, ein Esel legt sich gemütlich ins Stroh. Eine Kuh und ein Schaf schlummern ruhig. Im Stall herrscht eine nicht beschreibliche, heilige Stille.

 Wie von einem Magnet angezogen, bewegt sich der Hirte auf das Kind zu. Er steht ehrfürchtig vor dem Jesuskind und spürt, dass hier etwas Besonderes geschieht. Während er sich in Demut niederkniet, spricht ihn das Kindlein an.

„Du, alter Mann mit dem braunen Hut, komm näher her zu mir. Du schaust mich so erstaunt an.“ Der Hirte neigt zögernd seinen Kopf dem Kinde zu. Sein Hals ist wie zugeschnürt, die Hände zittern und seine Stimme scheint zu versagen. Erstaunt fragt er sich, wie es möglich ist, dass so ein kleines Kind schon sprechen kann? Das Jesuskind muss lachen und sagt: „Rücke noch näher zu mir, du musst dich nicht fürchten, ich bin nur ein kleiner Junge! Erzähle mir, wo kommst du her?“ Der Hirte fasst allen Mut zusammen und erzählt, dass er ein Schafhirte ist, dass es bitter kalt ist und dass er dem Lichtschein gefolgt ist. Er erzählt, dass er sieben Kinder und ein Frau zu ernähren hat. Dass er oft nicht weiß, wie er genug Essen für seine Familie auf den Tisch bringen soll. Er erzählt von den Menschen, die sich gegenseitig weh tun, Recht haben wollen, streiten, sich bekriegen, sich belügen und betrügen, von den Reichen, die den Armen noch das Wenige, das sie besitzen wegnehmen. Er erzählt aber auch von der Hoffnung auf ein besseres Leben, von Erlösung, Frieden, Freude und Liebe, die er sich aus tiefsten Herzen für das menschliche Dasein wünscht.

Einen Moment ist das Kind still und schaut dem alten Mann mit seinen dunklen, sanften Äugelein tief in die Augen. „Ich sehe durch deine Augen in deine Seele und in dein Herz. Deine Augen sind das Tor zur Seele. Ich sehe deine Sorgen, deine Fragen aber auch deine Hoffnung.“ Dem Hirten laufen Tränen über die Wange und er fragt, was das Kindlein gedenkt zu tun, um die Menschen zu retten? Er hätte draußen gehört, dass dies verheißen wurde. Es ist doch noch ein kleines Kind, was könne das schon tun?

„Ich bin der Heiland, der Erlöser, der Sohn Gottes“ antwortete das Kindlein. Ich bin das, den Menschen geschenkte Symbol, für den Glauben an das Gute, für die Freude, für die Mitmenschlichkeit, für die Wahrhaftigkeit, für gegenseitige Wertschätzung und Respekt, für die Ehrlichkeit, für den Frieden und für die Liebe.“

„Wie willst du erreichen, dass die Menschen wieder an das Gute glauben, dass sie friedlich und liebevoll miteinander leben, dass sie ehrlich und wahrhaftig zueinander sind und sich mit Respekt und Wertschätzung begegnen?“ fragte der Hirte mit einem Unterton des Zweifels in seiner Stimme.

Das Kind lächelt und spricht mit sanfter Stimme: „Verzweifle nicht, es wird geschehen, wenn die Menschen es selbst wollen. Ich bringe diese Geschenke nur mit. Was die Menschen daraus machen ist ihre Entscheidung und ihre Verantwortung. Aber du kannst hinausgehen und es den Menschen berichten, so wie alle Menschen, die heute hier anwesend sind. In dieser Heiligen Nacht zieht das Göttliche, die allumfassende Liebe, in die Herzen der Menschen ein. Gott ist die Liebe in dir, die du immer im Überfluss in deinem Herzen, in deiner Seele mit dir trägst. Du brauchst nur dein Herz, deine Seele zu öffnen und die Liebe fließt. Sie steht dir unbegrenzt zur Verfügung und ist an nichts und niemanden gebunden. Das ist das Göttliche in dir.

Du brauchst nicht auf eine Person, auf Gott oder mich zu hoffen, die für dich tun. Es nützt nichts, um Hilfe zu bitten und zu beten. Du und die Menschen, ihr müsst selbst dafür sorgen, dass ihr ein wahrhaftiges, ehrliches, vertrauenswürdiges, liebevolles Miteinander gestaltet. Niemand ist für euer Schicksal verantwortlich, schon gar nicht Gott oder ich. Und wir können euer Schicksal nicht beeinflussen. Wir können euch diese göttliche Kraft nur zur Verfügung stellen und ihr müsst sie selbst nützen, sie in euer Herz hinein und hinaus fließen lassen.“

Der Hirte kniet noch immer neben dem Jesuskind. Seine Gedanken laufen wie ein Karussell im Kreis. Er fragt das Kind: „Wie soll das gehen? Wir Menschen sind so schwach und haben keine Handhabe, uns gegen die Macht, gegen das Unglück, gegen das Böse zu wehren. Die Menschen da draußen sagen, du bist unser Retter. Wenn du uns nicht retten kannst, sind wir verloren. Wir haben weder die Kraft noch die Möglichkeit, wir sind unserem Schicksal ausgeliefert!“ Er kniet, faltet die Hände, sinkt in sich zusammen und weint hörbar.

Das Jesuskind wird in seinem Tonfall bestimmter und man könnte meinen, dass es ein wenig zornig ist über diese Worte. „So werdet ihr Menschen gar nichts schaffen. Solange ihr euch zurück lehnt, darauf hofft, dass euch wer anderer die Steine aus dem Weg räumt, solange ihr im Außen Schuldige für eure Lebenssituation sucht, solange ihr euer Glück vom Verhalten und Tun anderer Menschen abhängig macht, wird es keine Erlösung geben. Ihr seid für eure Erlösung selbst zuständig.“

Im Moment ist der Hirte enttäuscht und bringt dies auch zum Ausdruck. Das Jesuskind sagt, zu verstehen, dass es schwierig sein wird, sich neu zu orientieren und seine Haltung und Verhalten neu zu gestalten. Dass es steinige Wege zu überwinden geben wird und man das eine oder andere Mal über seinen eigenen Schatten springen wird müssen. Das Jesuskind spricht:

„Lieber Hirte, öffne dein Herz und deine Seele für die allumfassende, grenzenlose Liebe! Lass die Liebe erst in dich selbst fließen. Nimm dich in all dir möglichen Liebe selbst an, so wie du bist, deinen Körper, deinen Geist, deine Seele. Du bist vollkommen, so wie du bist. Die Liebe zu dir selbst ist der Grundstein für die Liebe zu anderen Menschen.  Ihr Menschen, geht euch entgegen, fühlt und spürt euch, hört euch gegenseitig zu, versteht euch, verzeiht euch, vertraut euch, seid wahrhaftig und ehrlich zueinander, umarmt euch, küsst euch und liebt euch aus tiefstem Herzen. Steht offen und auch nach außen dafür ein. Dann wird alles gut!“